Neue Klänge aus dem Souterrain
Überraschung an der Lorrainestrasse: Wo früher Kultwirtin «Ping» das China-Lokal «Dalun» rockte, sind seit Kurzem Gerichte aus der US-Südstaatenküche zu entdecken.
Zuerst kurz zur Geschichte des Gastlokals im Untergeschoss des Hauses an der Lorrainestrasse 32, denn das sind wir Ng-Ye Huiping, besser als «Ping» bekannt, schuldig. Seit 1987 wurde im «Dalun» an besagter Adresse die kantonesische Küchenkunst gepflegt. 17 Jahre lang, bis im Sommer 2017, führte «Ping» das Restaurant. Gerne besucht von asiatischen Carreisenden auf dem Weg vom Berner Oberland in die Zentralschweiz. Und vom halben Medienhaus am Dammweg, als dort noch nicht die Tamedía-Controller ihr Unwesen trieben und man auch am Mittag ohne Zögern ein «Tsingtao» (oder auch zwei) bestellen konnte. «Ping» war eine grossartige Gastgeberin und stets ein sicherer Wert, bevor sie dem Ruf einer Freundin in einen Betrieb am «Stauffacher» in Zürich folgte. Einer ihrer Köche übernahm das «Dalun» bis zur Pandemie, die dann nicht nur den Strom von Touristen aus China und Taiwan versiegen liess. Während der Coronazeit nutzte das Gastro-Unternehmen Wiesner (heute mit dem «Nooch» im Nordquartier vertreten) die Küche als Produktionsstätte für ihren Lieferservice, 2022 eröffnete Daniel La unter dem Namen «Glückskeks» wieder ein Restaurant mit China-Programm, das allerdings nie ganz das «Dalun»-Level erreichte.
Roy Orbison und Paola in New Orleans
Doch genug von alten Zeiten geschwärmt. Auch die Gegenwart bietet Lichtblicke, widerspiegelt vom brackigen Wasser der Sümpfe in Louisiana. Seit wenigen Tagen erst haben Joana Schertenleib und ihr Partner Robin Zurbrügg an der Lorrainestrasse 32 ihr Lokal «Bayou Bar & Grill» eröffnet. Die US-Südstaatenküche ist in Bern bisher nur stiefmütterlich beleuchtet worden. Doch für eine Ehrenrettung der Cajun-Rezepte abseits von versalzenem Jambalaya ist es nie zu spät. Zurbrügg wuchs in Übersee auf, machte seine Lehre im «Bären» Münchenbuchsee, wirkte später in New Orleans und durchlief die Hotelfachschule in Lausanne, bevor er jetzt mit Schertenleib am Start steht. Dass hier tatsächlich etwas Innovatives entstanden ist, beweisen die jungen Szenegänger, die vor dem Haus nicht nur ihren Atem in die vorwinterliche Kälte dampfen und unten an der neu errichteten Bar mit Blick in die Küche vor ihren Cocktails sitzen. Trainerhosen und Stufenhaarschnitte sind verbreitet, aber keinesfalls Pflicht. Am Tisch hinter uns prostet sich eine Frauengruppe jenseits der 40 mit etwas klassischerem Beinkleid zu, und unser eigenes Alter dürfen wir ihnen gar nicht mehr nennen, ohne verlegen zu wirken. Wir waren jedenfalls schon auf der Welt, als Paola Del Medico, später Felix, 1978 mit dem Roy-Orbison-Cover «Blue Bayou» samt Text von Wolfgang Mürmann im ganzen deutschsprachigen Raum die Hitparaden stürmte.
Von «Nashville hot» bis friesisch herb
Und wir staunen positiv: Aus dem Bierhahn fliesst auch «Jever», dieses angenehm bittere Pils aus der gleichnamigen friesischen Kleinstadt, das zwar seit 2004 zum Oetker-Konzern gehört, aber durch geschicktes Marketing – «wie das Land so das Jever» – doch immer noch wie eine eigenständige Marke für Nonkonformisten wirkt. Und vor allem ausserordentlich gut schmeckt, auch nach der Meinung der Gastgeber, die sich bei ihrem Getränkelieferanten intensiv für die Möglichkeit eines Offenausschankes einsetzten. Ein Glas davon dient als ideales Stimulans zum Studium der Karte. Bei den Vorspeisen entscheiden wir uns für die grillierten Randen mit Cayenne-Mayo, frittierten Schalotten und Minze sowie den gebackenen Rosenkohl mit erfrischendem Joghurt-Zitronen-Dip. Weitere Highlights im aktuellen Programm: Crispy Okra, Hokkaido-Kürbis oder Fried Green Tomato mit Jalapeno Pickles. Ähnliche Freude bereiten uns die Hauptgänge, mehrere mit Grillcharakter. Das Onglet vom Rind wird mit konfierter Knoblauchbutter und Schalottenjus gereicht und erhält von uns den Vorzug gegenüber den Sticky Pork Ribs. Und die Fried Tofu Sliders mit Coleslaw empfehlen wir nicht nur Vegetariern. Die Beilagen halten das angeschlagene Niveau. Hervorheben möchten wir vor allem den Südstaaten-Klassiker Grits, bestehend aus Polenta Taragna, Butter und Parmigiano Reggiano. Als Nachspeisen sind zurzeit im Angebot: ein exquisiter Bread Pudding und Lime Pie, beide Gerichte sind vernünftig portioniert und gut bewältigbar, selbst nach einer Vor- und Hauptspeise.
Das Leben ist kurz
Visuell hat sich wenig verändert, von der Farbe des Wandanstrichs und der bereits erwähnten Bar einmal abgesehen. Über die Wahl der Tische und Stühle liesse sich diskutieren. Doch was in den Lehrerzimmern der 1980er-Jahre unausweichlich war, scheint in Berns Beizenkultur derzeit Pflicht. Und auch das Lichtkonzept könnte man hinterfragen. Doch wie sagt der Lateiner? Vita brevis, ars longa. Unser Leben ist kurz, die Kunst wird es überdauern. Daran wollen wir uns halten und trinken lieber noch einen Schluck Jever, anstatt zu zanken. Und malen uns bereits jetzt die sommerlichen Abendstunden auf der Terrasse aus.
INFOS
Küche: Grill-G(l)ut des Südens der USA
Service: Aufmerksam, unkompliziert
Ambiente: Liebe auf den zweiten Blick
Preise: Nicht teuer
Adresse:
Lorrainestrasse 32, 3013 Bern
Tel. 031 503 19 36
www.bayou-bar.ch
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag, 11.30 bis 14 Uhr;
Mittwoch bis Samstag, 17.30 bis 00.30 Uhr;
Sonntag geschlossen