Prosecco schlürfen statt Haare lassen
Claudia Byland lädt alle paar Monate in ihrem Coiffeursalon zum Goldenen Kamm zur Vernissage ein. Derzeit gibt es Frauenpower hoch drei: Die Metallbauerinnen Lea Amiet und Judit Jenni aus dem Nordring zeigen Fotos ihres Schaffens.
Es ist ein kühler Herbstabend Mitte Oktober, der Coiffeursalon zum Goldenen Kamm an der Talstrasse 1 in der Lorraine ist eigentlich schon geschlossen. Doch drinnen ist es hell erleuchtet, eine bunte Schar von Menschen tummelt sich im Lokal und auch auf dem kleinen Vorplatz steht ein heiterer Träubel Menschen zusammen – schwatzend, lachend, mit Bier und Prosecco in der Hand. Die Ladenbesitzerin Claudia Byland hat alle Hände voll zu tun: Sie schneidet zwar keine Haare, stattdessen schenkt sie an ihrer mobilen Bartheke für die Gäste Getränke aus. Denn heute ist Vernissage. Alle zwei bis drei Monate hängt im Goldenen Kamm neue Kunst an den Wänden. Derzeit sind grossformatige Fotos von Arbeiten der Metallbauerinnen Lea Amiet und Judit Jenni zu sehen.
Vernissage statt Haarschnitt
«Ich mag es, diesen Raum ebenso als Galerie für Kunst zu nutzen», sagt Claudia. Vor neun Jahren hat sie ihr Geschäft «Zum Goldenen Kamm» eröffnet. Sie war damals 49 Jahre alt, nach vielen Jahren als angestellte Coiffeuse war ihr gekündigt worden. Statt zu hadern, wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit. Sie wusste auch schnell, wo sich ihr Traumlokal befand: In der Lorraine zu Hause, war Claudia fast täglich an der Ateliergalerie am Talweg 1 vorbeigekommen. «Ich habe mich gewundert – es war meist dunkel und nichts los», erinnert sie sich. Schade, die attraktiven Räumlichkeiten halbwegs brach liegen zu lassen – so wurde die Coiffeurmeisterin (?) bald darauf neue Mieterin. Sie strich die Wände mit kräftigen Farben, liess eine Wand mit einem farbigen Blumenbouquet bemalen, eine andere mit einem deckenhohen Spiegel bedecken.
Kreativer Coiffeursalon
Als sie sich einrichtete, wusste sie: Ihr Laden sollte mehr sein als ein gängiger Coiffeursalon. «Ich hatte keine Lust, an den Wänden die üblichen Fotos von Frisuren aufzuhängen und auf Gestellen Haarprodukte zu präsentieren», erzählt sie. Lieber wollte sie den Raum auch als Galerie nutzen. Seither kann bei ihr alle zwei bis drei Monate eine neue Künstlerin oder ein neuer Künstler Werke aufhängen. «Der Raum ist ideal dafür. Nicht nur die Kreativen freuen sich, hier ihre Kunst zeigen zu können. Auch ich habe etwas davon: Ich habe immer wieder neue Bilder um mich», sagt die Bernerin mit einem zufriedenen Lachen.
Frauenpower aus dem Nordquartier
Zu neuen Kunstschaffenden zu kommen, ist nicht allzu schwierig: Mal fragt Claudia jemanden an, mal wird sie angefragt, manchmal sind es Bekannte, manchmal Studierende der nahen Kunsthochschule, manchmal Kundinnen oder Kunden. So wie auch dieses Mal: Die Metallbauschlosserin Lea Amiet, die ebenfalls in der Lorraine wohnt, lässt sich regelmässig in Claudias Coiffeurstuhl nieder und fertigt alles Metallene an, das die Frisurenkünstlerin in ihrem Geschäft braucht. So kam bei Claudia die Idee auf, dass Lea doch im Goldenen Kamm mal etwas von ihrem beruflichen Wirken zeigen könnte. «Ich fand es eine coole Idee», sagt Lea, die an der Vernissage durch die Räume wirbelt und immer wieder stehen bleibt, um mit jemandem zu reden, den sie kennt. «Aber ich wollte nicht alleine ausstellen», sagt sie. Schnell gewann sie ihre Arbeitskollegin Judit Jenni dafür. Die Metallbauerin ist ebenfalls im Nordquartier zu Hause und hat wie Lea ihre eigene Werkstatt im alten Hammerwerk in Worblaufen. Grössere Aufträge führen die beiden Frauen jeweils zusammen durch.
Handwerkskunst
Nun hängen 14 grossformatige Fotos ihrer Metallbauarbeiten im Goldenen Kamm. Da ist etwa die restaurierte Schiffsbank der Blümlisalp für den Garten des Restaurants Luna Llena zu sehen, das Vordach der Progr Buvette, eine Rankhilfe für Glyzinien in einem Bauernhaus, verschiedene Geländer und metallene Raumaufteilungen. «Es ist schön, mal zu zeigen, was man macht», sagt Judit. Sie freuen sich aber vor allem auch, sind so viele Leute an der Vernissage zu sehen. Der Anlass ist denn auch ein voller Erfolg, schon nach weniger als einer Stunde sind vier der Bilder verkauft. Judit, Lea und Claudia haben vieles gemeinsam: Sie sind selbstständige Berufsfrauen, wohnen im Nordquartier und lieben gutes Kunsthandwerk. Für die Coiffeurmeisterin Claudia hat sich das Wagnis, das sie mit fast 50 Jahren eingegangen ist, gelohnt. Fast jede Woche hat sie neue Kundschaft. Immer wieder entdecken Leute den geschmackvoll eingerichteten Coiffeursalon, wenn sie die Kreuzung von Talweg, Polygonstrasse und Dammweg passieren. Und manche von ihnen stellen später ihre Kunst an den Wänden des Goldenen Kamms aus
INFOS
Goldener Kamm
Talweg 1, Bern: Fotoausstellung von Amiet Metallerin und Judit Jenni Metallverarbeitung.
Finissage
Freitag, 28. November 2025