Bewegte Jahre am Salemhügel
Ende 1965 begann der Bau der neuen PTT-Generaldirektion an der Viktoriastrasse. Das Vorhaben war umstritten. Und auch bis zur heutigen Nutzung gab es immer wieder Aufregungen.
Ein sonniger Oktobersonntag im Breitenrain: Während gut einen Kilometer Luftlinie entfernt im Wankdorf YB gegen St. Gallen spielt, kommen Mary und Jim Surtees aus Vancouver gerade im Prizeotel an. Als «terrific» – «grossartig» – bezeichnen sie wenig später die Aussicht von der Rooftop-Bar, wo am Horizont die Alpen grüssen und in unmittelbarer Nähe der herbstbunte Rosengarten. Die Freizeit zu verbringen – ob temporär als Hotelgast oder ständig in einer der rund 140 Wohnungen – ist heute die Haupttätigkeit jener Menschen, die sich im früheren PTT-Hauptsitz an der Viktoriastrasse 21 aufhalten. Nur schon die optische Dominanz dieses Gebäudes lohnt einen Blick in die bewegte Geschichte der Schönburg, deren Bau vor genau 60 Jahren anlief.
In den späten 1950er-Jahren ist die PTT – von 1920 bis 1998 sind Post-, Telefon- und Telegrafendienst vereint – unter Zugzwang. Die Hochkonjunktur erwirkt eine massive Zunahme des Personals. Die Dienstzweige sind über die ganze Stadt an 20 Stellen verteilt. Und mit dem kommenden Bahnhofneubau mangelt es der Verwaltung bei der Schanzenpost an Platz. Mehrere Standorte für die Generaldirektion (GD) stehen zur Diskussion, bevor sich die PTT für das Projekt an der Viktoriastrasse entscheidet, benannt nach der nahen Schönburg-Strasse. Am 24. Mai 1959 sagt die Bevölkerung mit 16 259 gegen 2926 Stimmen deutlich Ja zum Verkauf einer 8600 Quadratmeter messenden Landfläche – für 2,6 Millionen Franken.
«Sing-Sing» und die schwarze Riesenkrake
Schon der Anblick der ersten Bauprofile weckt jedoch Unmut. Das «Berner Tagblatt» schreibt von «grössten Bedenken gegen den acht- bis neunstöckigen Mammutbau», der dem amerikanischen Zuchthaus «Sing-Sing» ähnlich sehe. Im August 1959 versammelt sich auf Einladung des Nordquartier-Leistes im Hotel Waldhorn eine Gruppe, die dem Bau «den Kampf ansagt». Zu reden geben die nicht zonenkonforme Höhe und der erwartete Mehrverkehr. Die Versammlung schlägt vor, die PTT solle stattdessen auf das Areal des Kunstmuseums ausweichen, welches damals Pläne für einen Umzug ins Kirchenfeld hegt. Zusätzlicher Widerstand kommt, weil die PTT auf die Pläne des Zürcher Architekten Theo Hotz setzt, der einen guten Draht zum Bundesbetrieb hat und später auch das Fernmeldezentrum und die Paketzentrale in Zürich entwirft. Im «Handelsblatt» heisst es: «Mit welcher Überheblichkeit die PTT-Direktion hier zu Werke geht, ist geradezu erstaunlich. Man scheint der Auffassung zu sein, dass man alles durchsetzen könnte, weil man eben die PTT ist. Die PTT ist der allmächtige Staat im Staate.»
Eine Reaktion der PTT folgt rasch. Sie passt das Bauvorhaben an und betont, es erzeuge «keine Beeinträchtigung des Stadtbildes am Salemhügel». Die kreuzweise Bauform erzeuge viele Grünflächen und vermeide lange Baufluchten. Im Frühling 1960 erreicht die Stadt nach Verhandlungen eine Reduktion der Bauhöhe auf sieben Stockwerke. Zwischenzeitlich ist auch ein Alternativstandort beim heutigen NPZ- Areal im Gespräch. Vor der Abstimmung Ende 1960 liegen die Nerven blank. Die Gegner veröffentlichen unter dem Titel «Muss das sein?» einen Prospekt, der die Schönburg als schwarze Riesenkrake zeigt, die die Stadt bedroht. Kritisiert wird, dass mit dem Mehrverkehr auch «das Leben von Schülern» gefährdet würde. Ein grosses Thema sind die Kosten von kolportierten 50 Millionen Franken. Der Baugrund für derartige Hochkonstruktionen sei denkbar schlecht und es müssten Unsummen für Pfählungen buchstäblich verlocht werden.
Die GD antwortet mit einem mehrseitigen Papier. Der Alternativstandort komme nicht in Frage, weil die Militärverwaltung andere Pläne habe. Der Verkehrslärm sei nur tagsüber und unter der Woche zu hören. Auf die Pfählungen könne vermutlich verzichtet werden. Und die Bausumme liege wesentlich unter 50 Millionen. Als verteuernd hätten sich vor allem die Auflagen der Stadt zum Vorteil der Anwohner erwiesen: «eine aufgelockerte Bauweise mit sehr viel Grünfläche und Sonnenbestrahlung und unterirdische Garagen». Die GD lässt zudem durchscheinen, dass ihr andere Städte ebenfalls «verlockende Bodenangebote» unterbreitet hätten. Am 4. Dezember 1960 stimmt die Gemeinde dem neuen Baulinienplan mit 10 554 Ja gegen 9405 Nein knapp zu.
Polemik und Pragmatismus
Rasch wird aber klar, dass die Bausumme exakt in den Bereich der 50 Millionen zu liegen kommt, was den Beginn mehrfach verzögert, weil die Finanzierung durch die Bundesversammlung muss. Und der Untergrund ist tatsächlich nicht ideal. In der «Neuen Berner Zeitung» heisst es im Mai 1963: «Wegen der unvorteilhaften Analyse musste auf eine Ausfahrt aus den Untergeschossen Richtung Aargauerstalden und auf einen Teil der unterirdischen Garage verzichtet werden. Die Hänge sind rutschgefährdet und die oberhalb gelegenen Villen hätten in Bewegung geraten können». Im September1963liegtdieBaubewilligung vor. Und nach dem Nationalrat genehmigt auch der Ständerat die 47,9 Millionen. Bundespräsident Willy Spühler mahnt die Versammlung, es lasse sich nicht verantworten, noch weiter zuzuwarten. Die Abstimmung endet ohne Diskussion mit 28:0. Am 7. November 1965 fahren die Bagger auf. Im Oktober 1967 ist der Rohbau fertig, ein halbes Jahr früher als geplant. Die Bautätigkeit wird weiter von Polemik begleitet. Im Februar 1968 kommt ans Licht, dass die drei Generaldirektoren der PTT jeder einen eigenen Lift im Neubau gewollt hätten. An einer Konferenz bestätigt der Amtsdirektor das Gerücht. Solche Wünsche seien tatsächlich geäussert und die Liftschächte auch erstellt worden. «Aber wir haben das abgestellt. Die Schächte sind zwar da, aber wir haben daraus auf jedem Stock Putzkämmerchen gemacht ...»
Am 31. März 1970 ziehen die ersten Mitarbeiter ein. Die heutige SV- Group betreibt das Personalrestaurant mit einem Essraum für 200 und einer Cafeteria für 120 Personen. Die offizielle Eröffnung findet am 28. Mai 1970 mit Bundesrat Roger Bonvin und Stadtpräsident Reynold Tschäppät statt. Augenfällig ist die Kunst am und im Bau. Als «Wegweiser» wird die bis heute präsente Skulptur «Tell» des Berner Eisenplastikers Bernhard Luginbühl gewählt, geschaffen für den Schweizer Pavillon der Weltausstellung in Montreal 1967. Für das Innere entwirft der Luzerner Maler Hans Erni vier Wandbehänge, die in den Nullerjahren abgehängt und eingelagert werden.
Manche Schwierigkeiten tauchen erst nach Inbetriebnahme auf. Im Februar 1971 mahnt GD-Präsident Markus Redli in einem internen Schreiben alle Mitarbeitenden, unbedingt die später wieder abgebrochene Fussgänger-Unterführung zu benützen. «Die Organe der städtischen Verkehrspolizei machten uns darauf aufmerksam, dass besonders nach Arbeitsschluss zahlreiche Fussgänger selbst bei dichtem Verkehr die Fahrbahn überqueren, um die dem Gebäude gegenüberliegende Bushaltestelle zu erreichen.» Und im Sommer 1971 schreibt der «Bund» über das Arbeiten in modernen Verwaltungsgebäuden: «Unerträglich scheinen die Verhältnisse vor allem in der Schönburg zu sein. Ursprünglich war dieses Gebäude etwa vier Meter höher geplant. Auf den Einspruch des Natur- und Heimatschutzes hin musste die Höhe reduziert werden. Damit nicht eine weitere Etage verloren ging, verzichtete man auf die Einrichtung von Klimaanlagen, nicht aber auf die Metallfassade. Resultat: Bratofenhitze im Sommer, Kälteprobleme im Winter.»
Heisse Luft und leere Kassen
Die Umstrukturierung der PTT Ende der 1990er-Jahre tangiert auch die Schönburg. Ab April 1999 wird sie nach dem Auszug der 450 Swisscom- Leute zum Konzernsitz der Post umgestaltet. Grundstruktur und Aussenhülle bleiben unberührt, nicht aber die Eingangshalle. Automatische Schiebetüren ersetzen die Drehtüren, die alte Loge weicht einer gelb erleuchteten gläsernen Empfangstheke. Das Personalrestaurant bekommt schon 1998 einen frischen Look. Zehn Jahre später wird 2008 bekannt, dass die Tage der Schönburg in ihrer bisherigen Form gezählt sind. Die Post will ausziehen und sucht einen Käufer. Unter den Bietern figuriert auch die BKW. Schliesslich macht im Herbst 2009 die Grossbank CS das Rennen. Nach dem für 2014 vorgesehenen Post- Auszug will sie das Gebäude für «innovative Wohnformen» nutzen.
Angedacht sind Service-Apartments, Restaurants, Konferenzräume und Wellness. Die CS zieht die Kursaal Bern AG bei, die im Februar 2011 ein Fünf-Sterne-Hotel als Ergänzung zum Hotel Allegro ankündigt. Nebst anderen Ketten sei man mit Hilton im Gespräch. Betreiben will der Kursaal das Hotel selber. 2013 meldet die «BZ», dass sich der Kursaal zurückgezogen habe und die CS nun ein ein einfacheres Stadthotel sowie Luxuswohnungen plane.
Diese Luft ist noch heisser als die vorherige, denn die CS ist unter Druck. Im Oktober 2014 kauft ihr die Immobilienfirma Swiss Prime Site (SPS) die Liegenschaft ab. Ende 2016 schreibt der «Bund», die SPS plane neu eine Mischnutzung, bestehend aus Hotel, Coop-Filiale – die Migros steigt wieder aus –, Fitnesscenter und 135 Wohnungen, mit Baubeginn im Frühling 2017. Die Mietzinse von 1400 bis 3500 Franken für die 2,5- bis 5,5-Zimmer-Wohnungen rufen die SP Bern-Nord auf den Plan, die auf einen dringenden Bedarf an preisgünstigem Wohnraum pocht. Parallel ziehen die Post-Mitarbeitenden aufs Wankdorf-City-Areal.
Grüner Walliser Gruss
Im Sommer 2020 folgt die Wiedereröffnung. In der Architekturzeitschrift «Hochparterre» steht: «Hochwertig in Zuschnitt und Ausbau sind die Wohnungen. Mit einer Höhe von 2,87 Metern profitieren die Räume von der Bürovergangenheit. In den unteren Geschossen beziehen sich die Wohnungen zu den begrünten Höfen, aus den oberen Geschossen geniesst man den Weitblick. Besonders privilegiert sind die Mieter an den Gebäudeköpfen, die den Ausblick übereck geniessen. Dank des Erschliessungssystems gibt es keine Wohnung, die sich nur gegen Norden orientiert.» Zu reden gibt der Innenausbau des Hotels, für den Prizeotel den Designer Karim Rashid verpflichtet. «Mit einer wilden Form- und Farbensprache wollte er offenbar seinem Ruf als ‹Stardesigner› gerecht werden. Doch mit dem Gebäude hat sein Werk wenig zu tun, da hilft auch das Knallgelb nichts, das offenbar an die Postvergangenheit erinnern soll», schreibt «Hochparterre». Geschützt ist die Schönburg nicht, doch sie wird im Inventar der Denkmalpflege als «Einzelobjekt von Bedeutung» geführt. Äusserlich dominiert nun nebst dem Aluminium auch Verde Salvan, ein grüner Naturstein aus dem Wallis.
Quellen und Dank: PTT-Archiv Köniz, Museum für Kommunikation Bern, Mediendatenbank SMD.