Ein Getränk und viele Emotionen
An heissen Tagen wie den zurückliegenden ist das Thema «Bier im Nordquartier» nicht abwegig. Idealer Ausgangspunkt für eine Spurensuche ist das Restaurant «Du Nord».

Das Haus an der Lorrainestrasse 2 ist optisch markant. Seit 130 Jahren ist es mit seinem Turm der «Pförtner » des Nordquartiers. Viele unserer Leserinnen und Leser sind bereits auf der Terrasse oder im Innern des Lokals mit dem ursprünglichen Namen «Café Du Nord» gesessen. Und nicht wenige haben dabei ein Bier getrunken. Dass es eines der Brauerei Felsenau war, ist kein Wunder, gehört die Liegenschaft doch dem Unternehmen am Strandweg.
Wie auch seine Mitbewerber schaute sich Johann Gustav Hemmann ab der Gründung der Brauerei Felsenau 1881 früh nach Immobilien mit einem Ausschankbetrieb um. Einerseits als Kapitalanlage, andererseits zur Sicherung der Absatzkanäle. Bereits in seinen Anfängen durfte er das Gastlokal an der Lorrainestrasse 2 beliefern, bald erwarb er es auch. Anfang der 1890er-Jahre konnte er zudemdas «Bierhübeli» in der Länggasse kaufen, die zweite weit herum bekannte Liegenschaft, die sich immer noch in Brauereibesitz befindet. Im«Bierhübeli» wird seit 1727 (!) Bier ausgeschenkt, was dem Haus auch den Namen eintrug. Die jetzige Benennung der Terrasse als «Gustavs Biergarten» ist eine Hommage an den Firmengründer.
«Städtisch-repräsentativer Auftakt»
Zurück zum «Du Nord»: Nach der Verbreiterung der Lorrainestrasse erstellte die Bieler Baugesellschaft Seeland am Südrand des Lorrainequartiers – unmittelbar an der damals dem Verlauf des heutigen Nordrings folgenden Bahnlinie – 1896/97 die Miethauszeile Lorrainestrasse 2 bis 14. Das Jahr des Baubeginns ist noch heute über dem Balkonfenster im zweiten Stock sichtbar. Architekt war der renommierte Otto Lutstorf (1854–1908).
«Die bis 1900 längste Bauzeile Berns bildete einen städtisch-repräsentativenAuftakt zum neu entstehenden Quartier, betont durch den wirkungsvollen Turm mit schiefergedecktem Helm, der von einer über sechs Meter hohen Turmspitze aus Zinkblech bekrönt wird. Stilistisch kommen hauptsächlich Detailformen aus der Renaissance zur Anwendung, was den repräsentativen Charakter betonen soll», heisst es in einer Schrift der Denkmalpflege.
Wie sich Quartierbewohner und ältere Szenegänger noch erinnern können, war der Betrieb in der jüngeren Vergangenheit auch dem Zeitgeist unterworfen. Mitte der 1990er-Jahre wurde mit dem«Wunderturm » der «VillaWahnsinn»- Trend aufgenommenund das Bier kam aus mit Eis gefüllten Badewannen. Danach erhielt das Interieur den heutigen Stil. Aktuell wird das Lokal von der KG Gastrokultur geführt, zu der auch der «Eiger» am gleichnamigen Platz oder das «le beizli» in den Vidmar-Hallen gehören.
Besuch am Aarestrand
Um der Essenz des Bieres und seiner Verankerung im Quartier auf den Grund zu gehen, besuchen wir Bernard Fuhrer, der die Brauerei Felsenau 2018 in sechster Generation von Stefan Simon und Martin Thierstein übernommen hatte. Die Immobilien wurden damals in eine separate AG überführt. Die Frage nach einer ersten Sommerbilanz 2025 liegt bei diesem klimaabhängigen Gewerbe auf der Hand. Fuhrer zeigt sich zufrieden: «Nach einem guten Spätfrühling folgte ein durchzogener Juli. Nun läuft es wieder rund und wir profitieren von vielen guten Festanlässen. Das Wetter könnte bezogen auf uns stets besser sein. Nur zu heiss werden darf es nicht. Bei 30 Grad und mehr geht der Konsum von alkoholischen Getränken spürbar zurück.»
Wie viele Betriebe im Nordquartier genau Felsenau-Bier ausschenken, weiss Fuhrer nicht auf Anhieb. «Aber es sind erfreulich viele, allen voran das ‹Du Nord›. Aber auch um den Breitschplatz herumsind wir gut vertreten. Im Nordquartier gibt es insgesamt eine schöne Beizen-Kultur mit regionalen Produkten.» Aktuell zeigt der Trend klar Richtung alkoholfreies Bier und Biermischgetränke. «Der Alkoholkonsum geht zurück, nicht nur beim Bier, basierend auf einem gesteigerten Gesundheitsbewusstsein. Wir verzeichnen beim alkoholfreien Bier jedes Jahr einen Zuwachs von über zehn Prozent. Doch das Grundniveau ist immer noch tief, deshalb sind zehn Prozent jeweils schnell erreicht. Schweizweit beträgt der Anteil von alkoholfreiem Bier sieben Prozent.»


Was international geschieht, beeinflusst auch die Region. «Der Biermarkt bildete schon immer Stimmungslagen ab. Dies zeigen Umsatzeinbrüche während der Spanischen Grippe, der Weltkriege oder der Wirtschaftskrisen. Heute merken wir aufgrund der weltpolitischen Lage, dass die Leute weniger Geld in den Restaurants ausgeben. Und vor allem über den Mittag wird weniger Alkohol getrunken. Zusätzlich spüren die Beizer das Homeoffice, viele Essen fallen weg. Gerade die Land-Gastronomie hat Mühe, doch Stadt-Betriebe reagieren ebenso und passen zum Teil ihre Öffnungszeiten an. Dramatisch ist der Rückgang aber nicht, wir möchten wirklich nicht jammern.»
Spricht Fuhrer vom«Bierhübeli» oder vom«Du Nord», ist seine emotionale Verbundenheit besonders spürbar. «Dass diese Immobilien denkmalgeschützt sind, verursacht zwar bauliche Einschränkungen. Doch die Gebäude leben auch davon, dass sie geschichtsträchtig sind. Das ‹Du Nord› wurde 2013 innen totalsaniert. Den Turm empfinde ich als das eigentliche Markenzeichen des Quartiers mit ikonischem Wert; er ist eine Art Empfangskomitee. Und der Wiedererkennungswert ist gerade bei auswärtigen Gästen hoch», betont Fuhrer. Der Bierkonsum lebt auch von der Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Angesprochen auf Aktionen wie das neue «Brewhouse» von «Simmentaler Bier» am Hauptbahnhof, sagt Fuhrer: «Wir versuchen vor allem durch unsere Produkte und ihre Qualität zu sprechen. Klar machen auch wir Werbung. Aber wir wollen keine eigenen Restaurantbetriebe eröffnen und unsere Kunden konkurrenzieren. Ein ‹Brewhouse› käme für uns nicht infrage.»
Sonderthema YB und SCB
Freuen würde sich Fuhrer, im Nordquartier auch bei den beiden grössten Sportclubs YB und SCB präsent zu sein. «Doch da werden so exorbitante Summen fürs Sponsoring und in anderen Bereichen bezahlt, dass dies für uns unrealistisch ist. Umso schöner, dürfen wir beim nächstgrösseren Verein FC Breitenrain präsent sein. Das passt gut. Die Kultur auf dem ‹Spitz› ist sehr nahe bei jener von Felsenau.» In den SCB ist seine Brauerei zwar nicht direkt involviert, aber über die Sportgastro AG in der neuen Festhalle. «Wir sind mit dem ‹Junker› vertreten und gespannt, wie sich dieses Geschäft im ersten Winterhalbjahr entwickelt.»
Fuhrer unterstreicht die Wichtigkeit einer stetigen Entwicklung. Schon Brauerei-Gründer Hemmann war in diesem Bereich nicht untätig und kaufte 1891 die erste Kältemaschine im Raum Bern, die es ermöglichte, das ganze Jahr zu brauen. Fuhrer erwähnt den Erfolg des «Bärner Müntschi » seit 1997 oder die Einführung des «Weizen» 2008. Klar sei aber auch: «Bier gibt es seit Tausenden von Jahren. Es neu zu erfinden, ist unmöglich. Doch man kann es mit innovativen Ideen frisch vermarkten. Wir gelangten zum Beispiel früh mit Bügelflaschen in die Gastronomie, weil wir glaubten, dass dies stilvoll sei und die Leute besonders anspreche. Heute ist das auch bei vielen Mitbewerbern Usus.» Fuhrer glaubt nicht, dass sich der Markt in den nächsten fünf oder zehn Jahren entscheidend verändert wird. «Wir wollen vor allem unsere Anlagen gut unterhalten, die Qualität unserer Produkte stützen und unsere bestehende Kundschaft zufriedenstellen. Für uns spricht die Nähe, gerade in der Gastronomie sowie bei Feiern und Events. Bei uns landet man nicht auf einer Hotline,wennes Probleme gibt. Bei uns sind noch Menschen da.»
Die Gassner-Saga
Beim Blick zurück erwähnt Fuhrer auch ein Projekt von 1902, die damaligen vier Brauereien vom Aarestrand – Gurten, Reichenbach in Zollikofen, Gassner und Felsenau – zu fusionieren. Die Idee wurde bald beerdigt. Doch wer sich mit Bier im Nordquartier beschäftigt, stösst rasch auch auf den Namen Gassner.
Die Brauerei Gassner&Co. hiess ursprünglich Brauerei Altenberg und wurde 1785 anstelle einer früheren Ziegelhütte im Strassenspitzwinkel Altenbergrain-Uferweg vom Ziegeleibesitzer und Landvogt von Wangen, Albrecht Frisching, gegründet. Jahrzehntelang blieb der Geschäftsgang der «Brauerei und Badwirtschaft Altenberg», von der heute noch das Restaurant Altenberg (heute «Lido») zeugt, wechselhaft. 1884 übernahm der umtriebige Brauer Rupert Gassner den Betrieb.



Er errichtete ein spezielles Wasserrad, das den allerersten Dynamoin Bern antrieb. 1884 kaufte er das Untere Rabbentalgutund verlegte die Brauerei 1891 leicht aareabwärts. Das neue Brauereigebäude schuf Albert Gerster (1864–1935), derweitere ikonische Anlagen wie das Gurten- Gasthaus, die Reithalle oder Teile des Warenhauses Loeb entwarf. 1969 kaufte die Gurten-Brauerei aus Wabern den angeschlagenen Betrieb, um einen Konkurrenten auszuschalten – nur um ein Jahr später von Feldschlösschen selber übernommen zu werden. Gleichzeitig begann das seit 1935 bestehende Bierkartell langsam zu wanken. Erste «Ausreisser» aus dem Preisverbund war in den 1960er-Jahren die Lausanner Brauerei «Boxer», deren Bier lange in der Reithalle erhältlich war. Das Areal am Uferweg ist durch Jacqueline Gutknecht-Pagano, eine Tochter des letzten Geschäftsführers der Gassner-Brauerei und Ururenkelin des Firmengründers, bis heute im Familienbesitz. Die Zukunft des Geländes ist offen. Ab den 2010er-Jahren nahm die Zahl der Brauereigründungen auch in der Schweiz wieder zu. Der Craft-Beer- Boom aus den USA wirkte sich bis ins Nordquartier aus. 2012 lancierten der heutige Geschäftsführer Alex Chevalley und Gian-Andrea Brunner «BrauKunst» mit demaktuellen Standort am Libellenweg im Galgenfeld. Die Produkte sind mittlerweile sogar im Coop Wankdorf, aber auch in kleineren Läden und Gaststätten wie «Viktor», «Darling» oder «Freibank » erhältlich. Seit 2014 in Betrieb ist die «Barbière» am Breitenrainplatz 40 mit Hausbrauerei und Restaurant. Und am Rand des Nordquartiers befindet sich das «Alte Tramdepot ». Es war zur Zeit der Gründung von Felsenau und Gassner Ausgangspunkt der Tramstrecke Bärengraben bis Bremgartenfriedhof. Seit 1998 befindet sich darin das bekannte Restaurant mit Braubetrieb. Die Geschichte des Bieres im Nordquartier ist also stets in Bewegung. Bewegung gibt Durst. Und wir sagen nun – wenig überraschend, aber dafür laut und deutlich – einfach Prost.
Bierfeste
BRAUEREIFEST «LIVE@FELSENAU»
Samstag, 30. August
HERZOGSTRASSENFEST
Samstag, 6. September
SOMMERFEST BARBIÈRE
Samstag, 13. September





