Corinnas Quartier Talk

Corinnas Quartier Talk mit Shirley Grimes

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Eine Frau voller Taten und Geschichten: Shirley Grimes. Bild: zVg

Shirley Grimes wurde 1972 in Killaloe in Irland geboren, wo sie ihre Kindheit, zusammen mit ihren Eltern und den beiden Zwillingsschwestern verbrachte. Mit 15 lernte sie vor allem mit und von Freunden das Gitarrespielen, reiste als Teenager nach Amsterdam und Paris. Zuvor lernte Shirley in Irland eine Bernerin kennen, die sie nach Bern einlud und Shirley mit an den Altstadtsommer nahm und sie mit zwei Musikerfreunden bekannt machte. Fortan spielten die drei zusammen und traten u.a. am Gurtenfestival auf. Das ist die Kurzform von Shirleys Weg nach Bern, mehr zu ihrer facettenreichen Arbeit mit vielen bekannten Musikschaffenden, als Musikerin und Songwriterin, erfahrt ihr auf ihrer Website.

Während des «Lockdowns» gründete Shirley den Verein «Kultur am Bettrand», der es Kranken und Menschen, die ihre vier Wände nicht verlassen können, ermöglicht, Kultur zu geniessen. 70 Kunstschaffende sind mittlerweile dem Verein angeschlossen, von Wale Däpp über Michael von der Heide bis hin zu jungen Formationen wie Sophie und Finja von «Teenage Songbook».

Eine wunderbar sinnliche Idee, die während der Zeit von Beschränkungen gewachsen ist. Wie haben die Kulturschaffenden, die du angefragt hast, auf dein «Projekt» reagiert?
Wir haben uns zum Start für eine Pilotphase im Raum Bern entschieden. Daraufhin habe ich mit 30 mir bekannten Kulturschaffenden aus der Region gesprochen. Alle 30 haben sofort zugesagt und waren begeistert und berührt von der Idee.

Und wie hast du die Menschen erreicht, die du mit deiner Idee beschenken wolltest?
Ich habe mich zuerst mit mehreren Hilfsorganisationen in Verbindung gesetzt, zum Beispiel mit der Krebsliga Schweiz. Viele haben uns unterstützt, weil sie die Idee sehr sinnvoll fanden. Ausserdem habe ich jeden Kontakt genutzt, den ich im Verlauf der letzten 30 Jahre als Kulturschaffende geknüpft habe – bei Zeitungen, Radio und Fernsehen. Dazu kamen Flyer, Plakate und auch Kinowerbung. Diese Arbeit ist aber nie ganz getan. Menschen, die heute isoliert sind, können sich morgen vielleicht wieder frei bewegen – und umgekehrt. Wir arbeiten stetig daran, dass die Menschen zu uns finden, und sind sehr dankbar, dass es Formate wie dieses Interview gibt, die uns dabei helfen, sie zu erreichen. Danke!

Die Künstlerinnen und Künstler stammen aus der ganzen Schweiz und treten auch schweizweit auf. Wie funktioniert das «Booking»?
Das Booking läuft über mich und ist ganz unkompliziert.
Meistens melden sich Angehörige von gesundheitlich beeinträchtigten Menschen über die Website oder per E-Mail bei mir. Manche wissen bereits, welche Kulturschaffenden gut zu ihrer Situation passen würden – und wenn nicht, helfe ich gerne bei der Auswahl.
Anschliessend suchen wir gemeinsam nach einem passenden Termin, und ich bringe die Kulturschaffenden mit den Anfragenden in Kontakt. In der Regel braucht es ein E-Mail und zwei kurze Telefonate – dann ist alles organisiert.

Wer kann Kultur bei euch buchen? Sind auch grössere Institutionen (Pflegeheime etc.) berechtigt?
Personen, die geistig, seelisch, körperlich oder sozial eingeschränkt sind, können unsere Dienstleistung in Anspruch nehmen – unabhängig davon, ob die Belastung vorübergehend oder dauerhaft ist. Unsere Konzerte finden im kleinsten Rahmen statt – mit bis zu zehn Personen aus dem Freundes- oder Familienkreis der berechtigten Person.
Wir treten nicht vor grösseren Gruppen von Patient:innen auf. Allerdings besuchen wir regelmässig Spitäler und Institutionen, wo wir an einem Nachmittag mehrere private Auftritte durchführen – jeweils individuell angepasst an einzelne Patient:innen.

Wie finanziert sich der Verein?
Die Finanzierung ist stets eine Herausforderung. Es war mir von Anfang an klar, dass KULTUR AM BETTRAND nichts sein darf, das man sich leisten können muss. Ebenso war mir bewusst, dass Kulturschaffende unter den aktuellen Bedingungen im Musikbusiness nicht kostenlos auftreten können. Dank Stiftungsgeldern, privaten Gönner:innen und Spenden haben wir es bis heute geschafft. Die Dankbarkeit aller Beteiligten ist riesig.

Welches war der tiefste, schönste Moment, den du persönlich erlebt hast? Gibt es eine Geschichte, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Es gibt mehrere. Ob am Telefon, per E-Mail oder bei den Konzerten, die ich selbst als Kulturschaffende für KULTUR AM BETTRAND gebe oder bei denen ich andere begleite – es gibt immer wieder Momente, die mich tief berühren. Wenn eine Patientin, die sich lange nicht mehr bewegt hat, plötzlich die Augen aufreisst und dich direkt anschaut. Wenn eine Frau mit Demenz mitsingt. Wenn ein älterer Mann weint. Wenn eine Patientin in palliativer Begleitung lauthals lacht. Es gibt auch viele andere, viel stillere Begegnungen – aber sie berühren genauso tief. Nein, es gibt nicht den einen Moment, der alles überragt – sie sind alle besonders.

Du hast deine Heimat in Bern gefunden, lebst länger hier als einst in Irland. Es war ein besonderer Moment, als du 2019 zurück in deiner Heimat im Pub aufgetreten bist, wo alles begann. Welche Erinnerungen hast du daran?
Dieser erste Auftritt in Irland seit über einem Vierteljahrhundert war der Hammer – wirklich! An den Auftritt selbst kann ich mich gar nicht mehr so genau erinnern. Ich weiss nur, dass das Konzert um eine Dreiviertelstunde verschoben werden musste, weil ich erst einmal so viele Menschen umarmen wollte – viele davon hatte ich seit meiner Schulzeit nicht mehr gesehen und sie kamen in Scharen. Es war eine wunderbare Erfahrung, und ich freue mich schon auf das nächste Mal!

Und welche Erinnerungen hast du an Irland, was vermisst du an deiner Heimat?
Meine Beziehung zu Irland ist etwas kompliziert. Dass ich gegangen bin, spricht für sich. Manchmal vermisse ich aber die unbeschwerte Freundlichkeit – und vor allem die Landschaft. Beides kann ich aber auch in den Ferien dort geniessen…

Und was macht dich in Bern glücklich?
Es klingt vielleicht ein wenig seltsam, aber ich bin nicht auf der Suche nach einem Glücksgefühl, sondern nach Erfüllung. Ich sage immer wieder, dass ich in Irland geboren bin – aber in der Schweiz auf die Welt gekommen bin. Und das meine ich positiv! Hier durfte ich nach dem suchen, was mich wirklich erfüllt – etwas, das damals in Irland für mich unmöglich gewesen wäre. Heute wäre das wahrscheinlich anders.

Welchen Bezug hast du zum Nordquartier (Breitenrain, Lorraine, Wyler, Altenberg), ausser, dass sich hier die Büro des Vereins befinden?
Im Breitsch-Träff habe ich 1991 mein allererstes Konzert in der Schweiz gegeben – deshalb ist das Nordquartier für mich immer etwas Besonderes geblieben. Einen wirklichen Bezug habe ich aber erst seit dem Umzug unseres KaB-Büros in die Genossenschaft Feuerwehr Viktoria. Ich bin seit Ewigkeiten Murifelderin und dachte lange, dass ich dort nicht wegzubringen bin. Doch kürzlich musste ich meinem Mann gestehen, dass es hier im Nordquartier wirklich schön ist – und dass die Möglichkeit, das Quartier zu wechseln, gar nicht mehr so ausgeschlossen scheint …

Wo zieht es dich hier hin und wo würdest du gerne ein Open-Air-Konzert geben?
Ich bin gerne am Wasser – ob an der Aare oder an einem See, dort bin ich glücklich. Im Herzen bin ich immer noch eine Inselanerin.
Open-Air-Konzerte sind ehrlich gesagt nicht so mein Ding. Sie sind oft unruhig und fordern ein Tempo, das ich nicht bieten kann. Die Songs müssen meist schnell hintereinander kommen, die Geschichten zu den Liedern auf ein Minimum reduziert werden. Es gibt das eine oder andere kleine OpenAir, wo das auch anders geht – aber im Grunde brauchen meine Musik und die vielen Geschichten dazu Zeit und Wände, um beim Publikum anzukommen.

Welche Künstlerin, welcher Künstler wünschst du dir noch von ganzem Herzen in eurem Vereins-Repertoire?
Wenn ich mir eine Kulturschaffende oder einen Kulturschaffenden «wünsche», dann rufe ich sie direkt an. Ich versuche aber, meine Auswahl nicht zu sehr von meinem persönlichen Geschmack leiten zu lassen. Wichtig sind Vielfalt, Feinfühligkeit und der Wunsch, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu unterstützen. Und natürlich, dass die Personen, die sich bei uns melden, hauptberuflich Kulturschaffende sind.

Und mit welchem Künstler bzw. welcher Künstlerin, der/die noch nicht mit dir auf der Bühne stand, würdest du gerne einmal «performen»?
Ein paar Lieder in dreistimmiger Harmonie mit Emmylou Harris und Alison Krauss zu singen – da würde ich nicht Nein sagen…

Und last but not least: Welche Frage wurde dir noch nie gestellt und wie wäre deine Antwort darauf?
Mir kommt gerade nur eine Frage in den Sinn:
Shirley, hast du das Leben als Kulturschaffende noch gerne?
Und ich würde sagen: im Grunde ja –wenn ich meine Antwort auf die zentralen Aufgaben meines Berufs beziehe, nämlich das Schreiben, Umsetzen und Performen von Songs. Aber wenn ich ein wenig herauszoome und alles einbeziehe, was sonst noch dazugehört, würde meine Antwort vermutlich anders ausfallen. Bei uns ist es wirklich absurd geworden: Wir müssen Grafiker:innen, Social-Media-Expert:innen, Webdesigner:innen, Kameraleute, Buchhalter:innen, Fundraiser:innen und Podcaster:innen in einer Person sein. Der Raum für musikalische Kreativität schrumpft unter den Anforderungen der heutigen Zeit. Dieser Teil des Kulturschaffens interessiert mich nicht mehr – und er hat massgeblich dazu beigetragen, dass ich seit sieben Jahren kein Album mehr veröffentlicht habe. Ich wünschte, wir Kulturschaffenden würden uns alle zusammentun und sagen: Leute, schreibt euch für den Newsletter ein –alles andere lassen wir jetzt bleiben. Dann könnten wir einfach das tun, was wir am besten können: Musik zu den Menschen bringen. Weil Musik immer guttut.

Danke Shirley für deine Zeit und Antworten.

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