Noch immer ein verlässlicher Wert
Die Speiselokale des Grossverteilers sind nicht nur bei Stammgästen beliebt. Das Erfolgsgeheimnis besteht darin, dass es dort praktisch keine offenkundigen Geheimnisse gibt.

Die Aufregung war lautstark, als Anfang Jahr publik wurde, dass in der Region Bern gleich drei Migros-Restaurants schliessen – in Belp, Bethlehem und im Freudenberg- Quartier. Zusätzlich geht im Laufe des Fachmarkt-Verkaufs auch jenes im Wankdorf MParc zu. Für Stammgäste sind die Lokale ein verlängertes Wohnzimmer mit integrierter Küche und also ein wichtiger Teil ihres Lebens. Umso intensiver ist das Wehklagen, wenn eine solche Einrichtung plötzlich fehlt. Dass die Verluste im Zusammenhang mit dem laufenden Konzernumbau stehen, verneint der Detailhändler. Die Migros Aare teilt mit, es handle sich bei den Schliessungen nicht um einen nationalen Strategiewechsel, sondern um «Einzelstandortbetrachtungen» und hält grundsätzlich fest, dass der Trend auch künftig weiter Richtung «Sofort- und Gassenkonsum» gehe. Umsatzmässig war die Migros Stand 2022 die drittgrösste Gastro-Anbieterin des Landes, im Herbst 2024 verfügte sie über 219 Betriebe. Sie mischt seit 1952 in diesem Dienstleistungszweig mit. Damals wurde am Hauptsitz des Genossenschafts-Bundes am Zürcher Limmatplatz ein erster Imbiss installiert. Das schweizweit erste Migros-Restaurant mit Buffet-Angebot entstand 1972 im Zentrum Zähringer in der Länggasse. An der Gästestruktur hat sich seit damals wenig geändert. Das Publikum ist generell sehr durchmischt und besteht aus Pensionierten, Schülerinnen und Lehrlingen, Büezern und Familien – je nach Tageszeit unterschiedlich stark vertreten. Es dominieren On-Schuhe und Camp-David- Pullover, Prada und Jacquemus eher nicht. Attraktiv sind die Restaurants aus fünf Gründen. Die Preise sind budgetschonend, die Qualität ist auf erfreulichem Niveau konstant, das Interieur unaufgeregt und es gibt keinen Zwang, den Platz nach einer bestimmten Zeit zu räumen. Zudem ist das Angebot berechenbar und durchsetzt mit beliebten Klassikern, regionale Unterschiede vorbehalten. «Unsere Gäste wollen das Bekannte», so Migros-Sprecher Tobias Ochsenbein.
Mensa für Fortgeschrittene
Machen wir die Probe aufs Exempel am Breitschplatz. Ein weiteres Merkmal der Migros-Restaurants ist ihre verkehrsgünstige Lage mit Parkplätzen und ÖV-Haltestellen, was dem Umstand geschuldet ist, dass die Lokale stets in nächster Nähe einer Verkaufsfiliale liegen. Ihre Betriebszeit ist streng an die Ladenöffnungszeiten gekoppelt. Dieses Restaurant entstand in seiner jetzigen Form beim Neubau 2019. Aktueller Leiter ist Christian Bühlmann. Gegen Vorweisung der Senioren-Vorteilskarte gäbe es am Dienstag jeweils zehn Prozent Rabatt. Soweit sind wir aber noch nicht, obschon wir den Tag getroffen hätten. Dafür schlagen wir später beim «Zvieri-Zauber» zu, der ein Dessert und ein Heissgetränk nach Wahl für Fr. 5.90 ab 14 Uhr umfasst. Signifikant ist auch, dass die ersten Mittagsgäste bereits kurz nach 11 Uhr vor ihren Tellern sitzen, wenn anderswo noch der Milchkaffee dampft. Das praktische Vorgehen erinnert an eine Mensa. Der Gast behändigt ein Tablett, schaut in die Buffet-Wagen und Vitrinen vor der Küche, wo das Personal die Tagesmenüs anrichtet, bevor er bestellt und sich am Getränkeregal bedient. Hernach balanciert er seine Beute zur zentralen Kasse und begleicht die Rechnung. Vom Eintritt bis zum ersten Bissen vergehen so in der Regel weniger als drei, vier Minuten.
Wohlfeile Klassiker und ein süsser Gruss aus der Romandie
Um herauszufinden, welche Gerichte eine solche Mainstream-Kundschaft bevorzugt, genügt ein Blick auf die Leuchttafeln oberhalb der Küche. Ein Wienerschnitzel – Kalbfleisch, sonst wäre der Namenszusatz «Wiener» gemäss Austria-Kodex nicht statthaft – kostet Fr. 19.90, eine Pouletbrust-Piccata mit Tomatenspaghetti Fr. 16.90 und die Olma- Bratwurst mit Zwiebelsauce Fr. 13.50, Beilagen inklusive. Die aktuelle Saison ist am Bärlauch im Cordon bleu erkennbar, für Vegetarier gibt es ein Gemüseschnitzel. Wir stürmen zuerst das Salatbuffet, wo der Cervelat- und der Hörnlisalat den kräftigsten Zuspruch finden. Wie sagte unsere Grossmutter einst treffend: «Ds Grüene lahn i de Chüe.» Wer in der Gruppe kommt, bespricht den vergangenen Arbeitsmorgen und den bösen Chef, Einzelgäste lesen Zeitung oder scrollen auf dem Handy. Der Umgangston ist freundlich und direkt, «Was weit der?», «Merci un e Guete.» Als Hauptgang wählen wir «Pastetli» mit Reis und grünem Spargel. Das Fleisch stammt aus der Schweiz, die Portion ist mehr als genügend. Und auch zum Dessert soll es ein Klassiker sein. Bienenstich, Erdbeerschnitte und Rüeblitorte in Ehren, wir geben dem «Carac» den Vorzug. Die welsche Patisserie- Spezialität mit Mürbeteig und Schoko-Rahm-Ganache passt dank seiner Farbe perfekt zum Frühling. Wie es mit dem «orangen Riesen » und seinen Restaurants weitergeht, wird die Zukunft zeigen. In Anbetracht des mittäglichen Ansturms am Breitschplatz gehen wir davon aus, dass der Herd hier noch länger brennt. Hinter verschlossenen Türen tüftelt die Migros Aare übrigens aktuell an der Filiale für die nächsten Dekaden. Ein Prototyp wird voraussichtlich 2026 am Standort Gäupark in Egerkingen SO eingeweiht. Unsere Prognose: Die ganz grosse Revolution dürfte ausbleiben.
INFO
Küche: keine Experimente
Service: selbst ist der Gast
Ambiente: der Gentrifizierungsteufel hat keinen Zutritt
Preise: günstig
Adresse: Breitenrainstrasse 11, 3013 Bern. Telefon: 058 567 60 90
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 7.30 bis 18 Uhr; Samstag 7.30 bis 17 Uhr; Sonntag geschlossen.


