Wenn Menschen aus der Nachbarschaft Leben retten
First Responder brauchen keinen prall gefüllten Rucksack voller Diplome. Was sie brauchen, ist die Bereitschaft, Menschen in lebensbedrohenden Notfällen zu begegnen. Oft sind sie die Ersten vor Ort und leisten als qualifizierte Laien Erste Hilfe. Diese Überbrückung der Zeitspanne bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes hat schon oft Leben gerettet.
Madeleine Gobeli lebt im Nordquartier und ist der Meinung, jeder Mensch sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten bereit sein zu helfen, etwas zu tun für die Allgemeinheit. Mit dieser Haltung erfüllt die Teamleiterin in der städtischen Verwaltung die wichtigste Voraussetzung, um First Responder zu werden. Die weiteren Hürden sind niedrig; für den Kurs, der vorgängig absolviert werden muss, sind keine Vorkenntnisse nötig, danach muss noch die kurze Einführungsschulung bei einem Rettungsdienst absolviert werden. Auch Franco Lottaz ist ehrenamtlicher Ersthelfer und auch er lebt im Nordquartier; hier, in ihrer Umgebung, ist die Möglichkeit eines Einsatzes für die beiden bei einem Ereignis am höchsten. Das ist entscheidend, denn Nähe kann Leben retten. So gesehen, sind First Responder Lebensretterinnen und Lebensretter aus der Nachbarschaft. Franco Lottaz vernahm während seiner Ausbildung zum Pflegefachmann vom System First Responder, fand dies eine schlaue Sache und meldete sich umgehend an. Auch er betrachtet es als Selbstverständlichkeit, für die Gemeinschaft da zu sein, wenn es nötig und möglich ist. Den Einsatz eines First Responders fasst er so zusammen: «Grundsätzlich beginnt ein Einsatz damit, dass bei einem Problem die Notrufzentrale 144 kontaktiert wird. Die Person in der Zentrale stellt ein paar Fragen, aufgrund der Situation entscheidet sie, ob First Responder aufgeboten werden.»
Ambulanz bereits unterwegs
Die häufigsten Gründe für den Einsatz seien Herz- und Kreislaufstillstände sowie Bewusstlosigkeit, ergänzt Madeleine Gobeli und erwähnt die Ausschlusskriterien für die First Responder: «Bei Notfällen nach einem Unfall und bei Vorfällen durch Gewaltanwendung werden wir nicht aufgeboten. Wenn bei der Zentrale ein Notruf eingeht, weiss man dort, was zu tun ist. Je nach geschilderter Situation wird entschieden, ob es sinnvoll ist, nebst der Ambulanz auch First Responder zu alarmieren.» Wenn diese einen Alarm via einer App erhalten, ist die Ambulanz bereits unterwegs. First Responder werden nie ohne Ambulanz aufgeboten, aber sie sind häufig vor den professionellen Einsatzkräften vor Ort. Das ist die Idee, und das ist auch Sinn und Zweck des Vereins «firstresponder.be». Zu den Zielsetzungen des Vereins gehören die Massnahmen, die Überlebensrate bei einem Herzkreislauf- Stillstand auf 50 % zu steigern. Dazu ist der Ausbau des First-Responder- Systems unumgänglich, zu wichtig sind ihre Aktivitäten bei einem Vorfall. «Zusammen mit dem Alarm auf dem Handy sehen wir jeweils auch eine Zeitangabe, wann ungefähr die Ambulanz eintreffen wird», erklärt Franco Lottaz den konkreten Ablauf, «wenn wir sehen, dass die Ambulanz voraussichtlich vor uns am Ort eintrifft, kann man den Alarm getrost wegklicken. Wenn wir jedoch sehen, dass wir früher eintreffen, dann macht unser Einsatz Sinn.»
Keine Verpflichtung zum Einsatz
Innerhalb der definierten Rettungskette sei die Alarmierung das erste Glied und die First Responder das zweite, fährt Madeleine Gobeli fort und benennt einen sehr wichtigen Punkt innerhalb des Ablaufes: «Wir sind nicht in einem Pikett-Dienst eingeteilt; die Alarmierung geht an alle First Responder raus. Es ist dann an uns zu entscheiden, ob ein Einsatz sinnvoll ist und sobald drei von uns auf der App ihren Einsatz bestätigen, erlischt der Alarm für alle anderen. » Es gebe also keine Verpflichtung und schon gar keinen Grund für ein schlechtes Gewissen, wenn nicht auf die Benachrichtigung eingegangen wird. Ein sehr wichtiger Punkt für Madeleine Gobeli, weil dadurch die Möglichkeit besteht, sich abzugrenzen, beispielsweise dann, wenn First Responder mit ihren Kindern beschäftigt sind. Franco Lottaz schliesst sich dem an und ergänzt, dass die Alarmierung jederzeit gänzlich ausgeschaltet werden kann und dass er das auch tut, je nach seinen Aktivitäten und seinem Aufenthaltsort: «Die Bereitschaft zu einem Einsatz muss Sinn ergeben», sagt er, «die Alarmierung ist dann eingeschaltet, wenn ich weiss, dass ich für einen Einsatz bereit bin.»
Vorarbeiten für Ambulanz
Die First Responder haben zudem die Möglichkeit, Orte innerhalb des Kantons zu deaktivieren oder freizuschalten, je nachdem, wo sie sich aufhalten. Die Situationen beim Eintreffen der First Responder sind zwar unterschiedlich und deshalb auch ihre Tätigkeiten; aber allein die Vorarbeiten, die sie leisten, können für die ankommenden Rettungskräfte sehr wertvoll sein. Beispielsweise stellen sie vorgängig den Zutritt zu einem Gebäude sicher, erkundigen sich nach einer Medikamentenliste des Patienten oder sie weisen bei einer unübersichtlichen Situation die Rettungskräfte ein. «Mit Ausnahme des Defibrillators setzen wir keine Instrumente ein, sondern leisten die Grundmassnahmen», sagt Franco Lottaz und meint damit die Position, die Atmung und eine allfällige Reanimation des Patienten. Anfangs kosteten mich die Einsätze Überwindung», blickt Madeleine Gobeli auf ihre Anfangszeit als First Responder zurück, «weil ich nicht vom Fach bin. Sollte es dereinst genug Fachleute geben, werde ich mich zurückziehen. Aber bis es so weit ist, mache ich es gerne weiterhin. Weil es nie genug First Responder geben kann.»
Info
Nebst anderen wichtigen Infos finden Sie hier den eindrücklichen Film «Wiederbelebt» von Schutz und Rettung Bern.