Dieser Artikel wurde von der «Berner Zeitung» zur Verfügung gestellt.

Friedliche Übernahme

In Stadtberner Kirchen wird studiert, gewohnt und getrunken

Den Kirchen laufen die Menschen davon. Die Folge: Die Reformierten müssen Gebäude umnutzen. So etwa die Markuskirche, wo die Zukunft geprobt wird.

Bernhard Ott
Berner Markuskirch
Vorne Fachhochschule, hinten Bar – in der Berner Markuskirche werden zurzeit alternative Nutzungen getestet. (Foto: Raphael Moser)

Ein Wochentag im März. Auf dem Areal der Markuskirche im Berner Nordquartier herrscht reges Treiben. Architekturstudierende der Berner Fachhochschule (BFH) geben sich die Klinke in die Hand.

Im Innenraum der Kirche bietet sich ein ungewohntes Bild: Die Bänke sind weg. Im vorderen Bereich doziert Architekturprofessor Urs Heimberg über die Gestaltung des urbanen öffentlichen Raums. Im hinteren Bereich wurde mit mobilen Einheiten eine Bar zusammengefügt. Dort betreibt einmal pro Woche ein Freiwilligenverein ein offenes Café für Einheimische und Migrantinnen und Migranten.

Ende letzten Jahres war hier ein Pop-up-Restaurant. Von Mitte April bis Anfang Juli wird ein Bar-Team wirten. «Ich bin überzeugt, dass wir hier gerade ein Modell für die künftige Nutzung von Kirchenräumen erleben», sagt Heimberg nach seiner Vorlesung.

Experimenteller Charakter

Was in der Kirche am Tellplatz unter dem Label «Blickwechsel» geschieht, hat in der Tat experimentellen Charakter. Die Studierenden der Fachhochschule haben nicht nur die Kirche in Beschlag genommen, sie sind auch als WG ins einstige Pfarrhaus eingezogen und kümmern sich um die Gebäulichkeiten.

Im Kirchgemeindehaus wiederum sind angehende Zeichnerinnen und Zeichner der Berufsfachschule zugange. Selbst an der Pinnwand für «Veranstaltungen der Kirchgemeinde» hangen Pläne zur Umnutzung der Räume in Studien- und Arbeitsplätze.

Ermöglicht hat die friedliche Übernahme Marco Ryter, Präsident der Kirchgemeinde Johannes, die mit der Gemeinde Markus fusioniert wird. Der pensionierte Architekt musste sich Ende letzten Jahres überlegen, die Markuskirche bis zum Beginn des Umbaus für ein halbes Jahr zu schliessen und für teures Geld bewachen zu lassen. Oder ihr neues Leben einzuhauchen. Auf seinen Antrag hin hat sich der Kirchgemeinderat für eine Zwischennutzung entschieden, die er als «Testphase für die Endnutzung » versteht.

Die Gebäude auf dem Areal der Markuskirche sollen für 14 Millionen Franken saniert werden. Die fusionierten Kirchgemeinden Johannes und Markus werden dort dereinst einziehen und die Johanneskirche an der Breitenrainstrasse aufgeben. Was aus Letzterer werden soll, ist noch unklar, da eine Beschwerde gegen den Kreditbeschluss hängig ist.

Restaurant geplant

Klar ist aber, was auf dem Areal Markus geplant ist. Hier wird die künftige kirchliche Nutzung bloss ein Drittel des Gebäudeensembles beanspruchen. Laut Ryter ist im Kirchgemeindehaus der Betrieb eines Restaurants im Pachtbetrieb vorgesehen. Auch Quartiervereine und -organisationen werden auf dem Areal willkommen sein und allenfalls eine Fortführung der schulischen Nutzung. Fachhochschuldozent Heimberg wünscht sich ein «Fenster in der Hauptstadt» für die in Burgdorf domizilierte Architekturabteilung.

«Die Kirche muss sich bewegen », sagt Kirchgemeindepräsident Ryter. In der Stadt Bern ist der Druck dafür vorhanden: Die Räumlichkeiten der reformierten Kirche sind für 150’000 Gläubige ausgelegt. Heute zählt sie aber nur noch 48’000 Mitglieder. Entsprechend sinken die Einnahmen aus den Kirchensteuern.

Grosser Investitionsstau

Die Stadtberner Reformierten haben demnach viel zu viele Gebäude. Der Bestand umfasst 40 Objekte, davon 12 Kirchen, mit einem Versicherungswert von 230 Millionen Franken.

Für den Unterhalt müssen in den nächsten 15 Jahren 75 Millionen Franken investiert werden. Angesichts der schwindenden personellen und finanziellen Mittel sieht die vor zwei Jahren erarbeitete Liegenschaftsstrategie eine Reduktion dieses Bedarfs um knapp 23 Millionen Franken vor.

Zuständig für die Umsetzung dieser Strategie ist eine Kommission unter Leitung des Anwalts und einstigen FDP-Stadtrats Mario Marti. In der Strategie ist festgehalten, welche Gebäude umgenutzt, im Baurecht abgegeben oder erhalten bleiben sollen. Der Entscheid darüber liege aber letztlich bei den Kirchgemeinden, sagt Marti. «Mit ihrer Fusion haben die Kirchgemeinden Markus und Johannes diesbezüglich bereits Fakten geschaffen. » Eine Folge davon sei die erwähnte Aufgabe der Johanneskirche.

Gebäude wie die Johanneskirche gehen ins Eigentum der Refbernimmo AG über, die im alleinigen Besitz der Gesamtkirchgemeinde ist. Die Refbernimmo verwaltet zurzeit ein Gebäudeportfolio im Wert von 60 Millionen Franken. Geschäftsführer Bruno Banholzer befasst sich damit, wie er die erwähnten 23 Millionen Franken bei den Investitionen einsparen oder auftreiben will.

Über die Firma lässt die reformierte Gesamtkirchgemeinde Bern Gebäude des Finanzvermögens sanieren, die die Kirche nicht mehr braucht. Ziel dabei ist es, sie zu «marktüblichen Renditen» weiterzuvermieten. Oder sie im Baurecht an die Stadt Bern oder private Trägerschaften abzugeben. Aus den Kirchen werden aber weder Tanzclubs noch Werkstätten, wie das im nahen Ausland zum Teil der Fall ist. Denn die Gebäude befinden sich meist in Zonen, in denen eine öffentliche Nutzung vorgesehen ist. «Wir können Kirchen nicht einfach an Private abgeben, die sie kommerziell nutzen wollen», sagt Banholzer.

Stadt als Abnehmerin

Als private Abnehmer kommen nur nicht gewinnorientierte Betreiber infrage wie das sogenannte Stadtkloster Frieden in der gleichnamigen Kirche. Auf dem Areal der Kirche im Mattenhofquartier soll auf Vereinsbasis eine Lebensgemeinschaft entstehen. Wie diese Gemeinschaft dereinst für den Unterhalt der Gebäude aufkommen soll, ist offen, und soll ab August in einer Zwischennutzungsphase getestet werden.

Hauptabnehmerin von kirchlichen Liegenschaften sind aber nicht Private, sondern die Stadt Bern. Mit dem Ensemble Matthäus im Rossfeld und den Kirchgemeindehäusern im Burgfeld- und im Steigerhubelquartier hat sie in den letzten Jahren bisher fünf Liegenschaften übernommen.

Der lukrative Marienhof

Diese werden laut Immobilien Stadt Bern vornehmlich «für schulische respektive schulnahe Zwecke» umgenutzt. Die zentrale Lage mache die Liegenschaften «insbesondere für Standorte von Quartierschulen» geeignet, hält Immobilien Stadt Bern fest.

Finanziell vielversprechend sind wohl einzig jene Gebäude, die in der Hand von Refbernimmo bleiben und umgenutzt werden sollen. Denn wenn das Eigentum bei der Kirche bleibt, können auch kommerzielle Nutzungen im Zentrum stehen. Paradebeispiel dafür ist das einstige Calvinhaus im Kirchenfeld, das Refbernimmo zurzeit als «Marienhof» vermarktet.

Unter dem Motto «Repräsentativ, urban, exklusiv» werden im einstigen Kirchgemeindehaus der Münsterkirchgemeinde ab Herbst dieses Jahres zentrumsnahe Gewerbe- und Wohnflächen zu «marktüblichen» Preisen vermietet.

Steuerzahlende zahlen

Das Vorgehen der Gesamtkirchgemeinde ist ein Wettlauf mit der Zeit. Geht der Schwund an Mitgliedern und Steuereinnahmen weiter und sollte demnächst doch noch die Kirchensteuer für Firmen abgeschafft werden, stellen sich beim Unterhalt der Kirchen grundsätzliche Fragen. Zur Steuerfrage hat der Grosse Rat im März einen Bericht in Auftrag gegeben. Zurzeit liefern die Unternehmen vierzig Millionen Franken Kirchensteuern pro Jahr an die drei Landeskirchen ab.

Eine Abschaffung könnte sich für die Steuerzahlenden aber als Bumerang erweisen. «Die Kirche ist letztlich nicht allein für den Unterhalt von Kulturgut zuständig», sagt Refbernimmo- Geschäftsführer Banholzer. Er weist auf den Kanton Neuenburg hin, wo die Bezahlung der Kirchensteuern freiwillig ist. Die Kirchengebäude im Kanton Neuenburg gehören meist den weltlichen Kommunen, die für deren Unterhalt zuständig sind.

Johanneskirche
Ist die Markuskirche umgebaut, soll die Johanneskirche im Breitenrain an Dritte übertragen werden. (Foto: Andreas Blatter)
Friedenskirche
In die Räume der Friedenskirche soll eine Lebensgemeinschaft als Stadtkloster einziehen. (Foto: Adrian Moser)
Marco Ryter
Marco Ryter hat unkonventionelle Ideen für die Nutzung der Markuskirche. (Foto: Nicole Philipp)
Bruno Banholzer
Bruno Banholzer ist zuständig für Gebäude, die nicht mehr genutzt werden. (Foto: Franziska Rothenbühler)
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