Ein grosser Schluck aus dem Heiligen Gral der Kleinkunst
Bis Mitte April feiert das bekannte Kulturlokal an der Allmendstrasse Jubiläum. Ein Hausbesuch bei «Zeremonienmeister» Christoph Hoigné.
Am 3. November 1998 startete in der früheren Wesley-Kapelle der Methodisten an der Allmendstrasse 24 mit einem Auftritt der Berner Band Klezmer Pauwau das erste Programm der «La Cappella ». 5200 Veranstaltungen später gilt das Kleinod im Breitsch längst als erste Adresse für Chanson, Kabarett und andere Kleinkunst weit über Bern hinaus. Zur Erkundung des Geistes dieser Kulturoase hat der Anzeiger für das Nordquartier jenen Mann besucht, der «La Cappella» begründete, vielen Stürmen trotzte und noch heute am Steuer steht: Gastgeber Christoph Hoigné. Und der Jubilar erfreut sich bester Gesundheit. Nein, nicht Hoigné, der während des Interviews im Dachgeschoss Kräutertee trinkt, um seinen Hals zu kurieren. Sondern der Kulturbetrieb selber. «Wir haben uns seit dem massiven Corona-Einschnitt weitgehend erholt», sagt Hoigné, der uns dort Red und Antwort steht, wo er jeweils mit dem Team und den Künstlern zu Abend isst. Zu spüren sei jedoch eine Art Sicherheitsreflex aufgrund der unsicheren Weltlage. «Viele Leute gehen mit dem Geld vorsichtiger um. Newcomer und Unbekanntere haben es zunehmend schwerer.»
Eine attraktive Programmierung zu verantworten, die finanziell nicht ins Bodenlose führt, ist anspruchsvoll. «Wirtschaftlich kann man sich das wie einen Latte macchiato vorstellen. Zuoberst der Milchschaum, Shows, die Gewinn einfahren. In der Mitte der Kaffee, Veranstaltungen, die so viel kosten, wie sie einbringen. Und zuunterst die Milch, Auftritte, bei denen man Geld reinsteckt und in neue Künstler investiert. Wir machen im Prinzip nichts anderes, als Geld von der obersten in die unterste Schicht zu bewegen, damit es insgesamt funktioniert. Und sind am Ende des Jahres froh, wenn wir eine schwarze Null schreiben können.» Hoigné programmiert intuitiv und nach Gefühl, mit drei Zielen. «Wir möchten einen möglichst hohen Frauenanteil haben. Zweitens sollte das Verhältnis zwischen Bewährtem und Neuem stimmen. Und drittens ist der Genremix wichtig.» Enorm verändert hat sich der Bereich Werbung und Marketing. «Gerade weil wir teilweise auch ein älteres Publikum ansprechen und die Kulturberichterstattung in den Tageszeitungen immer mehr zusammengespart wird, müssen wir uns gut überlegen, wie wir die Leute wirklich erreichen. Auf der anderen Seite bringen uns Youtube und Instagram neue Gäste. Die Stammgäste sind wunderbar und wie eine grosse Familie. Aber die neuen und jungen Gäste sind die Zukunft», sagt der fünffache Familienvater.
Grosses Einzugsgebiet
Geführt wird das Haus von einem Kernteam bestehend aus fünf bis sechs Leuten. Dazu kommen rund 20 «Freie» und Teilzeit-Mitarbeitende. «Das sind relativ viele Köpfe. Was aber auch nötig ist bei einem Sieben-Tage-Betrieb.» Hoigné betont: «Wir sind recht versteckt im Quartier. Das führt dazu, dass wir keine Laufkundschaft haben. Wer zu uns kommt, hat das unbedingt gewollt. Es gibt ja nicht nur die Qualität der Darbietung, sondern auch die Qualität des Publikums, die in der ‹Cappella› sehr hoch ist. Das hören, wir von unseren Künstlern oft als Feedback. Sie schätzen unsere Gäste, weil diese besonders aufmerksam sind und kommen auch gerne wieder.» Das Einzugsgebiet reicht vom Seeland über das Oberland und den Grossraum Burgdorf bis in den Oberaargau. «Je ein Drittel unserer Gäste kommen aus der Stadt, der Agglomeration und von ausserhalb. Je nach Act auch aus dem Wallis, Zürich, Basel, manchmal sogar aus Chur oder dem süddeutschen Raum.»
Mit verwandten Betrieben aus der Stadt pflegt Hoigné ein «gutes, einvernehmliches Verhältnis. Mit dem Käfigturm oder dem Bierhübeli sprechen wir uns auch mal ab.» Eine intensivere Zusammenarbeit gibt es mit Häusern aus anderen Städten. «Mit uns vergleichbare Bühnen sind der Teufelhof oder das Fauteuil in Basel, der Hechtplatz und das Millers in Zürich, das Casinotheater in Winterthur oder das Theater TAK in Vaduz.» Zentral ist für Hoigné, eine Beziehung zu «seinen» Künstlerinnen und Künstlern aufzubauen, «damit sie auch aus freundschaftlichen Gründen gerne wiederkommen. Treue zahlt sich in der Regel für beide Seiten aus. Wir streben nicht nach dem schnellen Geld.» Bezüglich Konkurrenz arbeitet Hoigné nach dem Prinzip «Leben und leben lassen». «Anfangs bekamen wir viele Offerten aus dem Jazzbereich. Doch dafür gibt es schon so viele gute Orte in Bern. Wir setzten lieber auf die Lücken und boten jenen eine Heimat, die keine mehr haben. In den 1980ern und 1990ern gingen all die legendären Kleintheater in der Altstadt zu. Für sie gab es lange keinen wirklichen Ersatz.»
Wie alles begann
Doch wie kam ein Fotograf und Journalist dazu, die Seiten zu wechseln? «Alles fing mit dem Haus an«, sagt Hoigné. »Ich erfuhr, dass es verkauft werden sollte und schmuggelte mich als blinder Passagier in eine Besichtigung. Der offizielle Interessent stieg aus, mir nahm es den Ärmel rein. Rasch stand fest: Dieser Ort wurde gebaut, damit sich Menschen darin versammeln. Dieses Haus hat eine tolle Akustik, ideal für Stimmen und unverstärkte Instrumente. Die Methodisten hätten vielleicht lieber an jemanden verkauft, der ihnen ideell näher gewesen wäre. Und auch ein Umbau zu einem Heim für demente Senioren war zwischenzeitlich ein Thema. Doch so wäre das Haus nicht mehr öffentlich gewesen. Nun kommen im Schnitt jährlich bis zu 29 000 Menschen hierher und können diesen schönen Ort geniessen. Alles ist noch im Originalzustand von 1907 und bleibt auch so. Das Haus ist innen und aussen geschützt. Es hat seine eigene Magie, ist mit 170 Plätzen relativ gross und man fühlt sich gleichwohl geborgen wie in einem Wohnzimmer.»
Als Geschäftsführer des Vereins, der «La Cappella » betreibt, ist Hoigné erst seit einigen Jahren angestellt. «Zuvor habe ich Tausende von Stunden ehrenamtlich neben meinem Job dafür gearbeitet. Jetzt ist das Haus Beruf, Engagement und Leidenschaft, manche sagen sogar: ein Lebenswerk. Ab und zu, etwa jetzt beim Jubiläum, denke ich an die Anfänge zurück. Was ich mir damals erträumt habe, ist Realität geworden.»
Auch unter den Auftretenden gibt es Dauerbrenner. Klezmer Pauwau, die 1998 die Eröffnung bestritten, spielten auch bei der 5000. Veranstaltung. «Ganz treue Künstler sind auch Joachim Rittmeyer, Bodo Wartke oder Tina Teubner. Franz Hohler spielte schon 2001 einen ganzen Monat hier.» Mittlerweile küren Hoigné und sein Team jeweils auch einen «Künstler des Jahres». «Wir picken jemanden heraus, den wir spannend finden und der sich übers Jahr hinweg entfalten kann. 2024 Jane Mumford, 2023 Matto Kämpf, 2022 Steff la Cheffe und 2018 Christoph Simon.»
Ans Aufhören denkt Hoigné noch länger nicht. «Doch ich bin realistisch. Das 50-Jahr-Jubiläum werde ich wohl nicht mehr planen. Als Erstes möchte ich in absehbarer Zeit die Betriebsleitung abgeben. Jeden Tag zuerst im Büro und anschliessend von 16 Uhr bis nach Mitternacht hier zu sein, das geht in die Knochen. Dann kommt als Zweites der Bereich Marketing, Finanzen und Personal. Am Schluss die künstlerische Leitung. Die braucht am meisten Vorlaufzeit. Das Programmieren kannst du nicht einfach jemandem in einer Schnellbleiche beibringen. Zum Glück habe ich aber so viele junge Leute im Team, die mir schon jetzt Künstler vorschlagen, die ich selber nicht mehr kenne. Wir decken drei Generationen ab. Ich begann mit 32, jetzt bin ich 57. Mein Geschmack ist mitgealtert. Ich bin ein Hörspielkind. Deshalb finde ich es doppelt schön, dass mit dem Podcast-Trend das Zuhören wieder Aufwind hat.»
Stimmen von der Bühne
Wir haben verschiedene Künstlerinnen und Künstler dazu befragt, was die «La Cappella» so einzigartig macht und warum sie gerne dort auftreten. Hier sind ihre Antworten:
Christoph Simon: «Drittens: Die Begegnungen an der Bar beim BFM-Bier nach dem Auftritt. Zweitens: Die grossartige Crew, die einen wärmstens empfängt und grosszügig bekocht. Und erstens: Christoph Hoigné mit seiner ansteckenden Kleinkunstbegeisterung und seinem nachtschlauen Wesen. Man sieht ihm an, dass er mehr weiss, als man ihm ansieht. Deshalb trete ich gerne hier auf. Und weil ich mich im Breitsch zwischen ‹Luna Llena› und ‹Schützenwegspili› noch immer wohl gefühlt habe.»
Jane Mumford: «Das Haus ist optisch und inhaltlich einfach einmalig. Es sieht aus wie eine Mischung aus Western-Saloon und Kirche, die vielen Wendeltreppen, versteckten Ecken und geschnitzten Dekor-Details sind märchenhaft. Dazu werden Künstler*innen vom Team erstklassig betreut: ein familiäres selbstgekochtes Abendessen, Übernachtungsmöglichkeiten in den Giebeln des Hauses und gemütliche After- Show-Drinks an der Bar. Das Haus ist ausserdem sehr offen für Erstlingswerke junger Künstlerinnen, was noch nicht überall selbstverständlich ist. Sie haben den Mut zur Freude am Neuen!»
Patti Basler: «Es gibt zwei Orte in Bern, an denen ich mich wirklich sicher, geborgen und zu Hause fühle: In den Arme(e)n meiner Verlobten Viola Amherd und in der ‹La Cappella›. In der ehemaligen Methodisten- Kapelle aufzutreten, schmeichelt meiner inneren Göttin. Und es ist jedes Mal wie ein Heimkommen. Das Publikum ist dankbar und wohlwollend, die Crew gastfreundlich. Zudem wird hier etwas gegen die unsägliche Klimakleberei gemacht: Da die Mittel bescheiden sind, bekommt man wieder Bodenhaftung, ganz ohne sich auf die Strasse zu kleben. ‹Gmüetlech, gäbig, henne guet›.»
Christine Lauterburg: «Christoph Hoigné hat mich erfreulicherweise eingeladen, zu meinem 68. Geburtstag in der wunderschönen ‹La Cappella› aufzuspielen. Dort passiert fast jeden Abend eine hochkarätige Kulturveranstaltung, grad neben meinem Domizil – wunderbar!!»
Lisa Christ: «Die ‹La Cappella› ist eine Institution in Bern – ein wunderbar warmes, herzliches Haus, in dem man als Künstlerin geschätzt und willkommen geheissen wird wie in einem zweiten Zuhause. Der Raum hat die perfekte Grösse und ist so eingerichtet, dass man von der Bühne aus eine schöne Nähe zum Publikum hat. Christoph und sein gesamtes Team verstehen es, Abende auszurichten, bei denen sich alle wohlfühlen, von den Künstler*innen über die Technik bis zum Publikum.»
Matto Kämpf: «Im ‹La Cappella› herrscht eine sehr angenehme Atmosphäre. Das Team ist sympathisch und bestens eingespielt. Es wird exzellent gekocht und zügig verkabelt. Und da es so halb auf seinem Heimweg liegt, stellt mich Christoph Hoigné um Mitternacht jeweils nicht vor seine, sondern vor meine Tür.»