Corinnas Quartier Talk

Corinnas Quartier Talk mit Fritz Berger

Müsste ich Fritz Berger nach der Begegnung mit einem Wort umschreiben wäre es «Wundertüte ». Denn eigentlich wollten wir uns mehrheitlich über seine fotografische Arbeit und seine vielen Publikationen (Bücher, Filme und Sammlungen) unterhalten, heraus kam eine Betrachtung seines Lebens unterwegs in vielen Gegenden dieser Welt, auf vielen Gebieten und immer im Zusammenhang mit Menschen, Hilfe und Veränderungen. Einen kleinen Teil unseres langen Gespräches habe ich in diesem Talk festgehalten.

Corinnas Quartier Talk mit Fritz Berger
Weit mehr als eine «Wundertüte»: Fritz Berger. (Bild: Corinna E. Marti)

Warst du schon als kleiner Junge jemand, der anderen half?
Ich habe nicht grosse Erinnerungen an meine Kindheit. Die soziale Ader «erbte» ich aber wohl von meiner Mutter. Sie half immer allen, bekochte die Hausierer, die uns unter anderem aus Rüschegg kommend in Oberbalm besuchten. Mutter kam aus Rüschegg, wo früher Bern die armen Leute hinschickte ... Meine Mutter sagte immer: Essen für vier reicht auch für fünf.

Was oder wer hat dir den Impuls gegeben, die Welt zu bereisen?
Mein Vater hatte ursprünglich in den 30iger-Jahren den Wunsch, nach Amerika auszuwandern. Er kaufte Bücher und las Abenteuergeschichten über ferne Länder. Die Welt und das Reisen machte mich da schon neugierig.

Hat dich die Fotografie auch seit der Kindheit begleitet?
Meine Mutter, die sich schon früh für das Fotografieren interessierte, erhielt von einem Nachbarn, dem Weiss Fritz aus der Kehrmühle, eine Kamera geschenkt. Und ich durfte diese Kamera, die ich übrigens noch heute besitze, benutzen und machte damit meine ersten Bilder. Schon während meiner Gärtnerlehre besass ich eine Kamera, eine Spotmatik, und fotografierte später viel in Israel. In Lefkas musste ich auch für den CFD fotografieren, um die Projekte zu dokumentieren. In Nepal begann ich dann mit dem Fotomonitoring, dem Beobachten eines Objektes (Dörfern, Landschaften), das über einen langen Zeitraum in regelmässigen Zeitabständen fotografiert wird.

Der Mensch steht in vielen deiner Lebensthemen im Mittelpunkt. War es immer okay, dass du sie portraitiert hast?
Die Menschen in Griechenland und Nepal waren sehr offen und freuten sich, wenn man sie fotografierte. In Pakistan hingegen, durfte ich aus religiösen Gründen nur Männer und Knaben sowie Mädchen bis ca. 12-jährig fotografieren.

Welches Land hat dich besonders fasziniert?
Alle Länder sind speziell. In Sikkim hatte ich das erste Mal das Gefühl: Hier möchte ich alt werden.

Was hast du in der Entwicklungshilfe gemacht?
Wir halfen den Bauern, ihre Anbaumethoden und die Tierhaltung zu verbessern. Lefkas forsteten wir auf und bauten Strassen. Die ersten acht Jahre war das ein unbezahlter Freiwilligeneinsatz, in Nepal und Pakistan war ich dann vom Bund angestellt und bezahlt.

Welches Erlebnis während deiner Auslandjahre hat dich berührt?
Oh, da gibt es viele; sehr viele davon sind in meinen Büchern festgehalten. So auch eine meiner liebsten Erinnerungen im Buch «Bäume meines Lebens». In Nikoli auf Lefkas schlafen Männer während des heissen Sommers auf Bäumen. Die Häuser sind in dieser Zeit voller stechender Fliegen und in den Ästen zwischen den Blättern ist immer eine Thermik, die die Fliegen nicht mögen. So schlief meine ganze Familie jeweils von Mai bis Oktober auf einem Maulbeerbaum vor unserem Haus.

In deinen Fotobüchern geht es oft um Veränderungen – die der Menschen und der Städte, Landschaften. Welche Haltung hast du der Veränderung gegenüber?
In meinen Fotobüchern gibt es zweierlei: einerseits die Menschen, die zwar älter werden, ihre äussere Eigenart aber beibehalten. Bei Landschaften und Orten ist das anders. Komischerweise vergessen wir sehr oft, wie Orte einst ausschauten. Die Geschichte einer Stadt oder eines Ortes ist wichtig. Ein Foto oder eben das Fotomonitoring hilft uns dabei zu beobachten, was passiert und wie es in Zukunft um uns herum aussehen sollte ...

Ein Monitoring über Bern, wäre das nicht auch ein Thema für dich?
Ich hatte ein Buch-Projekt laufen – eine Langzeitbeobachtung von Gebieten rund um Bern –, das leider nicht zustande kam. Nur zu gerne würde ich ein Fotomonitoring zusammen mit der Stadt, mit Schulen oder interessierten Gruppen starten. Eine Fotogalerie wäre gut, wo alle interessante Fotos zeigen könnten und wo über die Bedeutung der Fotografie diskutiert werden könnte.

Du hast deine Bücher bei diversen Verlagen veröffentlicht. Kannst du vom Erlös der Bücher leben?
Nein, im Gegenteil. Zusammen mit Sponsoren gelingt es mir jeweils, ein Buch fertig zu machen und zu drucken. Ich arbeite mit lokalen Verlegern in Griechenland, Nepal und Pakistan zusammen. Nur die deutschen Bücher werden in der Schweiz herausgegeben.

Sind dank deinen Auslandaufenthalten auch währende Freundschaften entstanden?
Mein Buch «Gespiegelte Zeit» zeigt Menschen in meinen drei Projektländern in jeweils zwei Abbildungen, von einst und dann viele Jahre später. Während ich die zweiten Aufnahmen machte, entdeckte ich die grosse Bedeutung meiner Fotos für diese Menschen und das gab mir den Anstoss, weitere Bücher über ihr Leben zu machen. Es entstanden dabei Freundschaften, die andauern.

Was liebst du im Nordquartier?
Ich liebe die Nähe zur Natur. Das freie Feld hin zum Rosengarten, hinunter zur Aare und zum BoGa, die offene Kaserne, die kleinen Geschäfte.

Wo fühlst du dich zuhause? Unterwegs?
Nicht unterwegs – ich blieb immer lange an Orten und gehe auch immer wieder zurück. Ich fühle mich dort zuhause, wo die Menschen spontan, tolerant und offen sind und ihr Leben mit anderen teilen. Lieber Fritz, danke für deinen spannenden Einblick, und ja, wir könnten uns noch lange unterhalten, zum Beispiel über deine Fotoausstellungen, deine Zeit in Berlin und deine Mitarbeit an einem Film, deine Fotoaufträge in Israel, Palästina, Bosnien, im Kosovo und in Afrika ..., aber das würde den Rahmen sprengen ...


Persönlich

Fritz wurde vor 85 Jahren als drittes von acht Kindern in eine Bauernfamilie in Oberbalm geboren,besuchte die Schulen in Borisried und Oberbalm und machte eine Gärtnerlehre.Nach seiner Militärzeit als Sanitäter arbeitete er als Freiwilliger ein ½ Jahr in Uetendorf imTaubstummenheim,danach zog es ihn für 1½ Jahre nach Genf, wo er in der Rosengärtnerei und als Landschaftsgärtner arbeitete und die schicksalshafte Begegnung mit Dr. Gerdrud Kunz hatte, die von ihrer Arbeit mit Flüchtlingen (CFD, Christlicher Friedensdient) erzählte und Einsätze in Kibbuzen in Israel organisierte. Nach seiner Rückkehr aus Israel in die Schweiz erfuhr er von Gertrud Kurz, dass der CFD nach Leuten für einen Langzeiteinsatz in Griechenland,in Lefkas,suchte.Fritz blieb zehn Jahre auf der Insel, bis 1972. Von 1973–78 arbeitete er für das DEZA in Nepal, von 82–87 in Pakistan. In Lefkas lernte er 1964 Dora aus Bern kennen. 1965 heirateten sie in der Schweiz.Die Kinder kamen in Lefkas,Athen und in Bern zur Welt – 2 Söhne und eine Tochter. Die Familie lebte weitere drei Jahre in Nepal, bevor seine Frau mit den Kindern zurück in die Schweiz reiste und sich das Paar trennte. Mit seiner zweiten,tibetischstämmigen Ehefrau Döma aus dem kleinen Königreich Sikkim, mit ihr war er 20 Jahre zusammen,lebte Fritz in der Schweiz, arbeitete u.a. in der Brasserie Lorraine und erhielt dann einen Arbeitseinsatz in Pakistan, wo sie fünf weitere Jahre zusammen lebten. Nach ihrer Rückkehr machte FritzWeiterbildungen,u.a. als Fotograf am MAZ. Gemeinsam mit Döma betrieb er einen Kochservice, bis sie sich 1999 trennten. Mit seiner letzten Partnerin, einer Pakistani, die Fritz während eines früheren Arbeitseinsatzes in Pakistan kennengelernt und viel später wieder getroffen hatte, verbrachte er die letzten sieben Jahre in Stockholm. Seit drei Jahren wohnt Fritz im Breitsch.


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