Stefanie Portmann

«Ich kann mich nicht stillhalten»

Das Nordquartier war in ihrer frühen Kindheit als «Fluchtort» wichtig. Heute besucht sie hier die Schreibateliers von Tina Uhlmann und trifft Freundinnen.

Katrin Bärtschi
Quartier-Chöpf – Stefanie Portmann
Ihre Passion: Schreiben und malen: Stefanie Portmann. (Bild: Tina Uhlmann)

Mein Bezug zur Lorraine ist etwas Frühes. Sie war ein wenig eine Flucht hinaus aus dem, in dem ich steckte. Ich erinnere mich weit zurück – als dreijähriges Kind war der botanische Garten wichtig. Er kam mir vor wie ein reicher Dschungel und ich glaubte sogar, es gebe Affen dort. Da war auch irgendwo eine Gartenwirtschaft, mit alten kippbaren Metalltischen. Rot und blau angemalt mit Rostlöchern. Das waren wahrscheinlich sehr sichere Orte für mich, wie auch das Dählhölzli, wo wir oft waren. – Ich wohnte mit meiner Mutter, meiner Schwoscht und vielen anderen Frauen und Kindern im Frauenhaus Bern.

Grad momentan beschäftigt es mich sehr, dass ich nirgends richtig zu Hause bin und dass ich an so vielen verschiedenen Orten gelebt habe. Ich möchte ein Zuhause, weshalb ich meine Wohnungen immer sehr gut einrichte. Aber sobald das letzte Bild hängt, zieht es mich weiter, das ist ein wenig eine Saumode. Mit dem Umzug von Thun nach Sydney wurde ich glaub irgendwie entwurzelt. Oder vielleicht schon vorher. Ich wollte immer weg von Thun. So, als wäre ich gar nie ganz dort angekommen.

Aber der Reihe nach: Sieben Jahre wohnte ich anschliessend an Bern im Bahnhof Schönbühl - eine sehr flippige Zeit! Wir hatten immer Besuch, d Hütte vou, chame säge. Als ich zehn war, zogen wir nach Thun ins Elternhaus der Mutter. Dort lebten wir dann zu fünft: Meine zwei Schwoschte, die Mutter, der Stiefpère und ich. Plus die Grossmutter. Plötzlich wurde ich überraschenderweise ganz gut in der Schule.

Danach ging ich ein Jahr ins Welsche, nach Pampigny, dorthin, wo die Pampa anfängt.

Zurück in Thun zügelte ich bald ins Bälliz und brach zwei KV-Lehren ab. Es ging mir damals nicht so gut. Dann zog ich mit Oli, meiner ersten Liebe, in eine gemeinsame Wohnung und schloss die dritte Lehre mit 5,5 ab. Ich hängte die Berufsmatur an, mit meinem Ersparten konnte ich das durchziehen. Irgendwann kam die glorreiche Idee, wir könnten auswandern. Ohne Heirat hätte ich kein Visum erhalten. Oli ist Halbaustralier und Doppelbürger. Wir liessen offen, ob wir zurückkehren würden oder nicht. In Sydney konnte ich gratis Englischkurse für Migrantinnen und Migranten besuchen. Das war eine wahnsinnige Erfahrung, weil ich Leute aus der ganzen Welt kennenlernte. Über diese Klasse könnte ich ein Buch schreiben! Mit einem Chinesen und einer Afrikanerin organisiert über Menschenrechte sprechen! Komischerweise schämte ich mich, Schweizerin zu sein. Ich dachte, ich sei so verwöhnt vom Leben, in der Schweiz ist alles da: Recht auf Bildung, Recht auf freie Meinungsäusserung. Es fährt ein, mit Leuten zu sprechen, für die das nicht selbstverständlich ist.

Ich malte viel, sehr farbige, lebendige Bilder. Und dachte, ich sei eine Künstlerin und könne die Bilder verkaufen. Als das nicht klappte, verschenkte ich sie in dieser bunten Stadt. Ich arbeitete beim dortigen Jugendherbergenverband YHA und fing an zu schreiben und zu bloggen. Und wir reisten fast ein halbes Jahr quer durch Australien. Immer wieder hatte ich das Gefühl, hier könnte ich wohnen, da könnte ich settlen. Aber eigentlich waren wir schon auf dem Heimweg in die Schweiz, wohin wir nach rund zwei Jahren auch tatsächlich zurückkehrten.

Die weiteren Stationen waren Thun, Schwerzenbach und Horgen. Ich zog meinem Mann und seinem Job hinterher. Nach etwa zwei Jahren kehrten wir zurück nach Bern, das ich sehr vermisst hatte. Und dann kam die Scheidung. Ich zog von der Matte in die Länggasse, fing wieder an zu arbeiten, lernte jemanden kennen, zog mit ihm an den Ostring und dann nach Muri, später alleine nach Bremgarten. Ich machte eine Weiterbildung, lernte Bidu kennen, zügelte ziemlich handli zu ihm nach Zollikofen und entdeckte die Freude am Böötle: Wir verbringen im Sommer viel Zeit mit dem Motorboot auf dem Wasser. Weil ich mich aber nicht stillhalten kann, zügelte ich nach einer Weile in eine eigene Wohnung in der Tiefenau, dann nach kurzem wieder nach Muri, zurück nach Zollikofen, danach wieder zu Bidu, nur um zwei Jahre später wieder umzuziehen – in die Nähe meines neuen Arbeitsortes. In der Wohnung in Brügg habe ich mich wie jedes Mal ignüschelet – und trotzdem: Es juckt mich! Weiter!

Ah, Pixie! Sie ist jetzt schon fast zehn Jahre meine treuste Begleiterin und ausser Schreiben, Malen und die Familie die Konstante in meinem Leben. Sie, ein Jack-Russell-Terrier, war anfänglich ein Panikhund, eine extreme Höselerin. Ich musste an mir arbeiten, um ihr Boden geben zu können. Nun bödelen wir einander.

Aktuell bin ich wieder an einer Weiterbildung. Einige sagen, ich könne es nicht sein lassen. Aber ich habe ja auch viel hingeschmissen. Ein Grund für meine Rastlosigkeit ist möglicherweise mein Migrationshintergrund – mein leiblicher Vater ist Italiener. Und: Nach Australien bin ich nie ganz zurückgekommen.

Da war ja auch der Jakobsweg: In mehreren Etappen lief ich von der Schweiz bis an die spanische Grenze, wo ich ein paar Monate in einer Herberge gegen Kost und Logis jobbte. Ich kam erleichtert nach Hause. Laufen, auf sich selber zurückkommen, sehen, wozu man fähig ist und wie wenig man dafür braucht! Nicht viel mehr als Schuhe, einen Rucksack, einen Sonnenhut und Sonnencrème – Gesichtscrème sicher nicht!

Schreiben und Malen: Wenn es mich packt, gebe ich mich sehr vertieft einem Projekt hin und kreiere zum Beispiel mit altem Nagellack und viel Liebe Mönsterli auf Papier. Recht stolz bin ich, dass verschiedene meiner Kurzgeschichten in Sammelbänden des Sage und Schreibe- und anderer Verlage veröffentlicht wurden und dass ich auch an Schreibwettbewerben Erfolg hatte.

Eine Freundin sagte, als sie eines meiner «Tobebücher» in den Händen hielt: «Hier zeigt sich, wie Gedanken zu Materie werden.» Das drückt gut aus, was Schreiben für mich bedeutet. Gedanken sind diffus und wirr, man muss sie fassen, packen und wenn ich sie auf Papier bringen kann, dann sind sie ein Teil meiner Realität geworden.

Ein Traum? Ja, ich würde gerne wieder reisen. Aber nicht an fremde Orte, sondern an bekannte, komischerweise. Das hat etwas mit Sicherheit und Geborgenheit zu tun.

Und mittelfristig möchte ich nach Bern zurück – dort bin ich daheim. Eine Geschichte fällt mir dazu ein: Einmal in einem teuren Berner Dessousladen fasste eine Frau ein Negligé an und sagte: «Für so ne blöde Hudu zahlen i doch keini zwöihundert Schtei.» Das ist für mich Bern. Bödelet! In einer Zürcher Boutique hätte die Frau diskret das Preisschild weggedreht und gesagt: «Es entspricht nicht ganz meinem Geschmack.»

Aufgezeichnet von Katrin Bärtschi

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